Serenity on the indian ocean
1:00 Uhr: Der Wind ist weg. Seit dem Abend schon hat Henry seinen Dienst angetreten, nachdem der Wind den ganzen Tag über immer weniger wurde und schließlich ganz aufgegeben hatte. Der strahlend blaue Himmel hat sich in gleichem Maße zugezogen wie der Wind nachließ. Jetzt scheint der Mond durch eine hoch liegende geschlossene Wolkendecke. Er ist so hell, dass man ihn hinter den Wolken erkennen kann. Um ihn liegt in einigem Anstand ein Ring - ein Halo, das durch die Brechung des Mondlichts an Eiskristallen entsteht. Kein Sternchen ist zu sehen. Das Wasser liegt ruhig da wie ein schwarzes, spiegelglattes Tuch. Das kleinste Lüftchen würde schon bewirken, dass die Oberfläche sich kräuselt. Aber da ist nichts, kein Hauch, nur der Fahrtwind, der die Nacht erträglich macht. Anstatt in meiner Koje verbringe ich die Nacht im Cockpit. Der Himmel ist heute nacht nicht vom Meer unterscheidbar, ich habe den Eindruck durch ein milchiges Nichts zu fahren. Außer dem Mond ist kein Licht zu sehen. Schon seit Tagen war da kein Schiff, selbst auf dem AIS, wo wir die großen Tanker normalerweise schon mindestens 30 Meilen im Voraus erkennen.
6:00 Uhr: Christian hat mich eben zur Morgenwache geweckt. Am Himmel dämmert es bereits, aber die Sonne hat es noch nicht über den Horizont geschafft. Seit Langkawi haben wir schon zweimal an der Uhr gedreht und sind jetzt nur noch 5 Stunden vor Euch - sozusagen fast schon zu hause. Es mag bizarr klingen, aber nach der endlosen Weite des Pazifiks, fühlt sich fast in Sri Lanka, tatsächlich wie fast zu hause an. Unsere Perspektive hat sich definitiv verschoben. Vor der Reise reichte die Welt für mich von San Fransisco im Westen bis nach Brisbane im Osten, jetzt weiß ich nicht nur in der Theorie, dass dahinter die blaue Hälfte unseres Planeten liegt.
6:45 Uhr: Die Sonne ist jetzt da. Das Wasser kräuselt sich leicht, zum Segeln reicht das noch nicht. In unserem ca. 3 Seemeilen großen Sichtbereich bis zum Horizont liegt nur blaues Wasser, blauer Himmel und weiße Wolken. Ich habe mich vor unserer Reise manchmal gefragt, ob ich mich wohl einsam fühlen werde in der Mitte eines Ozeans. Vor allem Luftaufnahmen eines kleines Segelbootes im blauen Nichts vermittelten mir das Gefühl einer endlosen, beängstigenden Weite. Da Moya sich aber in einer kleinen Kugel aus Wasser und Himmel bewegt, kam dieses Gefühl nie auf, nachdem wir die Leinen los geschmissen hatten.
Ich bringe seit einer gefühlten Ewigkeit die Angel mal wieder aus. In den überfischten Gewässer von Indonesien und der Straße von Malakka haben wir erst gar nicht versucht einen Fisch zu fangen. Die Kinder sind jetzt wach und streiten sich bereits, wer aus unserem Konstruktionsbausatz welches Bauteil haben darf.
9:00 Uhr: Nach dem Frühstück scheint sich die Luft zumindest etwas zu bewegen. Wir setzen alle Tücher und machen immerhin 3.5 Knoten über Grund. Joshi kramt seinen Steckbrief, den wir gestern begonnen haben, heraus. Vom Papier lacht ein blonder Kopf mit blauen Augen unter seinem Namen entgegen. Jetzt will Joshi auch noch in großen Buchstaben dazu malen was er gerne mag: rot, Feuerwehr, Döner, Lego, Bob der Baumeister, Bambi und Tarzan. Dann ist das Blatt voll, sein Lieblingstier passt nicht mehr drauf. Joni schaut fasziniert zu und steckt gleich darauf die Bob-CD in unser neues Radio.
12:00 Uhr: Ich habe mein Buch ausgelesen und denke über eine Badepause nach. Der indische Ozean hat erst seit ein paar Tagen wieder diese tiefblaue Farbe, die zum hineinspringen einlädt. Vorher war das Wasser eher trüb und gräulich. Mal sehen was Christian zu meinem Vorschlag meint. Vielleicht kommen ja auch wieder ein paar Delfine vorbei, die waren gestern auch schon da.